Am nächsten Morgen trat ich hinaus auf die Weide. Ein schöner und sonniger Tag kündigte sich an und ich graste erst einmal in Ruhe und stillte meinen Hunger. Denn restlichen Tag ruhte ich unter dem Schatten eines Baumes. So verbrachte ich auch die nächsten Wochen. Hin und wieder wurde ich an den Hof von König Tristan gerufen um ihm Ratschläge zu geben oder um bei besonderen Zeremonien teilzunehmen, doch sonst war mein Leben recht ruhig. Tristan hatte sich vorgenommen, mir das Leben unter den Menschen so angenehm wie möglich zu machen.
Doch eines Nachts hatte ich einen Traum. Er war so real, daß ich dachte, ich wäre wach, bis ich merkte, daß etwas nicht stimmte. Ein Blick um mich zeigte mir, daß ich wieder im Tal stand. Junge Einhörner mit ihren Müttern und Freunden spielten im Wald und auf den Weiden sah ich meine alten Gefährten, die das umliegende Gelände angespannt beobachteten. In wildem Gallopp ritt ich auf sie zu und rief, daß sie sich aus dem Tal retten sollten, doch sie schienen mich nicht wahrzunehmen. Plötzlich kam Bewegung in die Herde, sie hatten die Orcs gesichtet, die den einzigen Zugang zum Tal hinaufkamen und sie angriffen. Hilflos mußte ich zusehen, wie mein Volk sich gegen die Überzahl von Orcs wehrte, die sie einfach überrannte. Die Fohlen und deren Mütter trieben sie im Wald zusammen. Jedem Einhorn schlitzten sie die Bäuche auf und zogen es die Bäume hoch. Sie schrieen vor Qual, doch die Orcs zeigten kein Erbarmen. Schon bald war der ganze Boden tiefrot vor Blut. Verzweifelt lief ich umher und suchte meine Gefährtin. Ich konnte sie erst entdecken, als sich bereits mit einem Strick am Hals den Baum hochgezogen wurde. Sie schluchzte: Saien, Saien wo bist du, während ihr die Tränen über die Wangen liefen und sie schließlich starb. Ich spürte ihr Blut in meinem Gesicht als ich unter ihr stand und fand mich plötzlich auf einer Lichtung wieder.
Mir gegenüber stand ein altes, zernarbtes Einhorn. Mit
tiefgründigen Augen sah es mich an und sagte: ,,Hallo Saien.
,,Wer bist du ?, frage ich verwirrt.
,, Mein Name ist egal Saien, es gibt wichtigeres. Ich hab dir diesen Traum
gezeigt um dich zu erinnern und davor zu warnen, was wieder geschehen kann.
Ich sah dies schon vor Jahren kommen und habe deswegen Vorbereitungen getroffen.
Ich bin schon lange tot, dieser Traum erschöpft mich. Deswegen kann ich
nun nicht länger mit dir reden. Aber höre: Du mußt zum Wald
des Drachens Malcreys reisen und das innerhalb der nächsten zwei Monate.
Dann besteht wieder Hoffnung für uns."
,,Halt warte! Was werde ich dort finden ?
,,Die Zukunft unseres Volkes.
Er verschwand so schnell wie er erschienen war und ich lag hellwach in meinem
Stall. Es war tiefste Nacht, doch trotzdem konnte ich keinen Schlaf finden.
Die Worte des alten Einhorns gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.
Am Morgen ging ich zu König Tristan und fragte ihn nach
diesem Wald.
,, Der Wald des Drachens Malcreys? Ja, den gibt es, aber dort ist es äußerst
gefährlich. Man munkelt er sei verhext. Noch nie ist jemand aus diesem
Wald zurückgekehrt.
,,Ich muß und werde gehen.
,,Ich kann dich nicht aufhalten, Saien. Doch bis zum Waldrand werde ich dir
meine Leibgarde zu deinem Schutz mitschicken.
,,Danke Tristan, ich werde schon morgen früh abreisen.
,,Du hast meinen Segen Saien und pass auf dich auf
Ich erwachte viel zu früh, ganze 2 Stunden, bevor die
Leibgarde bei mir eintraf. Tenth stand mit verklärtem Blick neben meiner
Box.
"Ich werde dich vermissen, Saien!" sagte er leise.
Verwundert erwiderte ich: "Was? Wieso vermissen?"
"Du weißt doch, von diesem WAld ist noch nie jemand zurückgekehrt.
Ich glaube nicht, daß es diesmal anders sein wird."
"Tenth, sollte ich sterben, dann bin ich wenigstens bei meine Gefährten
und nicht mehr allein." versuchte ich zu trösten.
"Dann viel Glück", sagte er und ging mit eine Träne im
Augenwinkel davon.
Als die Garde zu mir stieß, verließen wir die Stadt. Aus den Augenwinkeln
bemerkte ich, wie uns König Tristan von der Burgmauer nachsah, doch ich
wandte mich nicht um. Zwei Tage dauerte unsere Reise zu dem unheimlichen Wald
und je näher wir ihm kamen desto unwegsamer und dunkler wurde unser Pfad.
Erstaunt blickte ich deshalb auf den Wald, der selbst wunderschön anzuschauen
war. Er war nicht abgestorben oder unbewohnt wie ich es von einem verfluchten
Wald erwartet hätte. In ihm blühte das Leben, er war von sattem
Grün und man hörte Vögel zwitschern und andere Tiere im Unterholz
rascheln. Trotz der schönen Umgebung trennte sich die Garde mit angsterfüllten
Blicken und ohne ein Wort des Abschiedes von mir. Ich war allein. Frischen
Mutes trat ich in den Wald und kämpfte mich bald immer weiter in seine
Tiefen. Ich weiß nicht, wie lange ich auf diese Weise umhergelaufen
war, als ich hinter mir das Schnauben eines Pferdes vernahm. Ich drehte mich
um und sah es.
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