Es mag 5000 Jahre her sein, als an einem schönen Sommertag der chinesische
Kaiser Fu Hsi am Gelben Flusse saß. Sinnend betrachtete er das fließende
Wasser, das ihm flüchtig wie das menschliche Leben erschien. Alles vergehe,
die Ideen und Gedanken würden wie Schatten unseres Lebens mit uns sterben.
Und nichts bliebe zurück.
Als er sich vorbeugte, um einen Kieselstein vom Uferrand aufzunehmen, spritzte
Wasser weit über sein Handgelenk. Erstaunt richtete er sich auf, um den
Grund für die Störung zu entdecken, und sah das "k'i-lin".
Es glich einem Kalb, war aber mit glänzenden Schuppen wie ein Drache bedeckt,
und auf der Stirn wuchs ihm ein silbernes Horn. Es watete vorsichtig und anmutig
durch das Wasser. Trotz der zahlreichen Felsbrocken im Fluss erreichte es schnell
den Sitzplatz des Kaisers. Überall wo das "k'i-lin" einher
schritt, wurde das modrige Wasser klar wie ein Gebirgsbach, und die Steine auf
dem Grund des Flusses begannen wie Smaragde zu leuchten.
Als es direkt vor dem Kaiser stand, stampfte es dreimal mit einem Huf auf den
Felsen. Sein Rücken war bedeckt mit magischen Zeichen und Symbolen. Das
"k'i-lin" sprach zum Kaiser mit einer Stimme, die wie einen
Klosterglocke klang. Dann schritt es fort zu einer nahe gelegenen Grotte.
Der Kaiser starrte die Linien und Bögen auf dem Rücken des "k'i-lin"
so lange an, bis er sie nicht mehr erkennen konnte. Im Schmutz des Flussbettes
versuchte er, mit einem Stock diese Symbole aufzuzeichnen.
Fu Hsi entwickelte die ersten chinesischen Schriftzeichen.
Es war zur Zeit von Huang Ti, einem gütigen und gerechten Herrscher, der dem Volke Güte und Wohlergehen bescherte. Es entstanden die ersten festen Wohnsitze, und damit auch die Städte. Einen Kaleder legte er fest. Mit zunehmendem Alter erfreute er sich mehr und mehr der Künste und lebte in behaglichem Luxus. Zu ihm kam das "k'i-lin" in der Abendstunde und rief mit glockenheller Stimme "Yin shing". Der alte Kaiser wußte, was das bedeutete: das "k'i-lin" war gekommen als Begleiter seiner Reise in das Totenreich.
Es war zur Regierungszeit von Wu Ti, einem Kaiser der Han-Dynastie. Wu Ti wurde
vom Volk geliebt und galt als gerecht und weise, kurz, es herrschten gute Zeiten.
Als er eines Mittags in den kaiserlichen Gärten spazierenging, huschte
etwas zwischen den Bäumen davon. Kein Zweifel, das war ein "k'i-lin".
Immer wieder zur selben Stunde ging der Kaiser in jenen Teil des Gartens spazieren,
um noch einmal das "k'i-lin" sehen zu können. In der Hoffnung,
beim nächsten Mal einen längeren Blick auf dieses zauberhafte Wesen
werfen zu dürfen. Doch vergebens! So baute der Kaiser an dieser Stelle
eine prachtvolle Pagode, dem "k'i-lin" zu Ehren.
Seine Regierungszeit war gesegnet, und jeden seiner Feine im Norden des Reiches
konnte er besiegen.
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