Der Stern des Einhorns

Warum nur verstand ihn keiner? Wieso nur waren sie immer am Kichern, wenn sie ihn sahen? Das Schicksal war doch bei fast allen hier das Gleiche. Eine Mutter, die sie nicht mehr haben wollte oder gestorben ist. Ein Vater, der dem Alkohol verfallen, dem sie im Weg standen oder der ebenfalls gestorben ist. Somit unterscheidet ihn nichts von den Anderen. Und doch, irgendwie ist er anders. Er weiß es selbst. Er vermag in seinen Träumen zu versinken. Sieht Dinge, die die Anderen nicht sehen oder nicht sehen wollen. Darum lachen sie über ihn, nennen ihn einen "Träumer". Aber es ist ihm egal. Sie sind ihm alle egal. Nein, fast alle. Es gibt da ein Mädchen in ihrem Heim, dass ihn ab und zu ansieht, ihm zulächelt. Aber er schaut immer weg. Traut sich nicht, mit ihr zu reden. Sie denkt bestimmt genau so wie die Anderen und macht sich nur einen Spaß mit ihm. Mit seinen 16 Jahren ist er schon recht erwachsen, trotz seiner Träume, die ihn vom Alltag ablenken. Ihn eintauchen lassen in andere, bessere Welten. Hier kann er abschalten, Kraft tanken. Er vermag es, Drache, Elfe, Hobbit, Gnom, Einhorn und Pegasus in seinem Traum miteinander zu vereinen. Sieht wie Wölfe und Schafe in "seinem" Land friedlich nebeneinander schlafen. Ritter, die Ihre Lanzen nicht gegen Drachen erheben, sondern sie lieben.

Eines Tages will er nur noch raus. Weg von dort. Er packt seine wenigen wichtigen Sachen zusammen und schleicht sich davon. Wohin? Er weiß es nicht. Einfach weg. Er will einen Ort suchen, an dem man ihn versteht, an dem noch mehr Leute vermögen zu träumen. Kein Lachen mehr ihn verfolgt. Er geht einfach drauf los. Immer weiter und weiter.

Plötzlich erblickt er eine große Wiese die von hohen dichten Bäumen umrahmt wird. Er betritt sie. Friedlich liegt sie vor ihm, in einem saftigen Grün. Das Sonnenlicht scheint mit ihren Halmen zu spielen. Als er sich in der Mitte der Wiese befindet, erblickt er einen kleinen See. Neben dem zwei weitere Bäume stehen. Zu dem See führt eine kleine Quelle, die lustig im Sonnenlicht schillert. Er ist müde von der Reise und möchte sich ausruhen. Seine Beine schmerzen und seine Augen fallen ihm fast zu. Er legt sich auf die Wiese und schaut dem Wasserlauf zu. Es fließt so friedlich dahin. 1000 Sterne glitzern im Wasser. Als würde er in einen Sternenhimmel schauen. Er schließt die Augen....

Als er sie wieder öffnet, spürt er, dass er nicht mehr alleine ist. Er blinzelt in die Sonne. Hinter den beiden Bäumen schimmert etwas weißes. Er schaut noch einmal hin. Das Schimmern scheint sich ihm zu nähern. Und plötzlich sieht er es. Weiß und zierlich steht es vor ihm. Es wirkt so zerbrechlich, doch es hat eine starke Seele, ist so mächtig. Zauber und Magie von ihm ausgeht. Und die Macht, sich in die Träume der Menschen zu schleichen. Er schaut es an und traut sich kaum zu atmen. Dachte er doch immer, Einhörner wären eine Legende, eine Sage, reine Phantasie. Nun steht eines vor ihm und es scheint real zu sein. Es senkt seinen Kopf zu ihm, gerade so, als solle er es berühren, es streicheln. Ganz vorsichtig streckt er seine Hand nach dem Einhorn aus. Kaum berührt er das glitzernde, seidige Fell, ertönt eine Stimme. Er schaut sich um, doch es war niemand da. Niemand außer ihm und dem Einhorn. Die Augen des Einhorns scheinen ihn zu suchen. Ein Gedanke durchzuckte ihn. Das Einhorn! Es ist das Einhorn, dass zu mir spricht.

"Fühlst Dich einsam und allein, möchtest nicht mehr traurig sein. Sieh die Farben dieser Welt. Du brauchst weder Ruhm noch Geld, um wirklich glücklich zu sein. In Gedanken bist Du niemals allein. Siehst Dinge, die andere verlernt haben zu sehen. Vermagst es, Deine Träume zu verstehen. Fühlst Liebe, die Dich umgibt, auch wenn Dich grade keiner liebt. Der Glaube ist es, den Du hast verloren, mit dem Tag, an dem Du geboren. Glaube an die Liebe in Deinem Herzen, doch auch sie gibt es nicht ohne Schmerzen. Lerne, aus jedem Verlust einen Vorteil zu ziehen, und nicht hinter eine Mauer zu fliehen. Lerne, den Menschen zu vertrauen, ihnen offen in die Augen zu schauen. Lerne bedingungslos zu lieben, ohne Wünsche von Dir zu schieben. Schau, diesen kleinen Stern will ich Dir geben, dann weißt Du immer, in Dir bin ich am leben."

Er spürt etwas in seiner Hand. Er nimmt die Hand vom Fell des Einhorns und schaut sie an. Ein kleiner Stern beginnt in ihr zu leuchten. Erst ganz leicht und vorsichtig. Dann immer stärker werdend. Wohlige Wärme geht von ihm aus. Wärme, Geborgenheit, Stärke, Zuversicht und der Glaube an die Menschheit, der Glaube an sich selbst. Er will sich bei dem Einhorn bedanken, es noch einmal streicheln. Doch, die Stelle an der es gestanden hat, ist leer. Er blickt zu den beiden Bäumen am See, sieht noch ein letztes Mal dieses wunderbare weiße Schimmern. Dann ist es fort.

Plötzlich hört er Stimmen, Rufe. Sie suchen ihn. Er überlegt kurz, ob er sich verstecken soll. Doch er bleibt sitzen und wartet ab. Eine ihm vertraute zarte, sanfte Stimme kommt immer näher. Sie ruft ihn. So oft hat er sie schon gehört diese Stimme. Von ihr geträumt. Schritte nähern sich ihm. Er schaut auf und blickt in die fröhlichen Augen des Mädchens aus seinem Heim. Sie steht vor ihm und lächelt ihn an, der Wind weht durch ihr langes Haar. Sie reicht ihm ihre Hand. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, steht er auf und ergreift sie. Gemeinsam kehren sie zurück. In seinem Herzen macht sich eine wohlige Wärme breit. War denn alles nur ein Traum? An der einen Hand das Mädchen, dass er heimlich schon so lange mag, die andere Hand an der Hosentasche, in der ein kleiner Stern erstrahlt.

©Simone - @ - HP

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