Das europäische Einhorn

Das "europäische" Einhorn ... ich weiß nicht, ob dieser Ausdruck zutreffend ist, denn überall gibt es andere Vorstellungen über das Tier, das von uns Einhorn genannt wird. In allen Zeiten haben Menschen Texte verfasst, in denen sie das Einhorn beschreiben, wie sie es gesehen haben wollen. Und mindestens genauso vielfältig, wie diese Texte zu finden sind, so vielfältig sind auch die unterschiedlichen Vorstellungen. Ich möchte hier nicht auf alle Beschreibungen eingehen, denn mir ist wichtig, wie wir heute das Einhorn sehen.

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Unsere Einhornvorstellung wurde wohl vor allem durch einen Film geprägt, der uns allen sehr bekannt sein dürfte: "Das letzte Einhorn". Was verrät uns dieser Film und sein Autor Peter S. Beagle über dieses Tier?

Gewöhnlich verbringt das Einhorn sein Leben in einem Wald mit einem klaren Teich, in dem es sich spiegeln kann. Als unsterbliches Wesen kann so ein Leben im Wald natürlich schnell langweilig werden, vor allem, wenn man am liebsten allein ist. Daher hat ein Einhorn kein Zeitempfinden. Ein Einhorn empfindet auch kein Mitleid, aber Trauer ist ihm bekannt. Entgegen der verbreiteten Vorstellung hat das Einhorn nicht viel mit dem Aussehen eines Pferdes gemeinsam. Viel eher ist es vergleichbar mit einem Reh, dem jedoch die dem Einhorn typische ungezähmte und uralte Anmut fehlt. Durch den langen schlanken Hals des Einhorns wirkt sein Kopf kleiner, als er in wirklich ist. Gekrönt wird der Kopf von spitzen Ohren und dem Horn, das selbst in der dunkelsten Nacht milchig und muschelfarben leuchtet. Seine Mähne fließt unvergleichlich weich und fein bis zur Mitte seines Rückens. Die Beine des Einhorns sind sehr lang und dünn, fast zu dünn für seinen Körper. An den Fesseln über seinen gespaltenen Hufen finden sich feine Haarbüschel. Ihrer unwiderstehlichen Schönheit voll bewußt sind Einhörner ein wenig eitel. Meist kommen Einhörner nur zur Paarungszeit zusammen und diese sind genauso selten wie die Geburt eines jungen Einhorns. Gelegentlich statten sie sich aber auch Besuche ab in ihren Wäldern, in denen immer Frühling herrscht. Einhörner können schneller laufen als ein Gepard und bewegen sich wie Schatten über dem Meer, wodurch wir Menschen sie häufig erst gar nicht sehen. Menschen, die ein Einhorn nicht erkennen, sehen an seiner Stelle eine kleine, zierliche und weiße Stute.

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Größtenteils hat sich dennoch die Darstellung als Pferd mit Horn durchgesetzt, wie sich an vielen Bildern auch hier in der Galerie sehen läßt. Persönlich finde ich dies ein wenig schade, denn für mich hat ein Einhorn wenig von einem Pferd, das mit Geduld schnell gezähmt ist. Das scheue Reh, das sich so gut versteckt, erscheint mir angemessener und die gespaltenen Hufe passen hier auch viel besser. Auch in meinen Vorstellungen ist das Einhorn ein Einzelgänger, der nur selten mit seinen Artgenossen zusammentrifft. Es wird allerdings auch stellenweise berichtet, dass Einhörner, ähnlich den Pferden, Herden bilden. Mein Einhorn kommt ohne sein Horn zur Welt und bleibt bei seiner Mutter, bis sein Horn sich voll entwickelt hat. Aber wie nicht anders sein kann, gibt es auch von der Geburt eines Einhorns unterschiedliche Darstellungen. Bei dem einen wird von einer Geburt wie bei Säugetieren berichtet, eine andere besagt, daß ein Einhorn aus einer Art Ei schlüpft. Die dritte Möglichkeit ist die Lichtgeburt, bei der das Einhorn am Ende seines Lebens in gleißendes Licht eintaucht, so daß es eine zeitlang durch das menschliche Auge nicht zu beobachten ist. Verschwindet dieses Licht, kann man ein neues, junges Einhorn erblicken.

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Mit der Zeit haben sich viele unterschiedliche Einhornarten entwickelt und das Einhorn hat die Elemente unserer Welt erobert. So gibt es das geflügelte Alicorn, das sich ähnlich dem Pegasus, mit seinen mächtigen Schwingen in die Lüfte erheben kann. Oder die Mischung aus Hippocampus und Einhorn, die durch die Gewässer der Erde schwimmen.

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